Also einen hätt' ich noch. Nicht von mir, sondern Michel l''Allemand hat sie erzählt. Deshalb kennen die Story schon einige von Forum...
Der Gendarm vom Schwanensee
Wenn ich von unserer Wahlheimat, dem Vaucluse in die alte Heimat Stuttgart fahre und zwei – drei Tage Zeit dafür habe, nehme ich natürlich das Motorrad. Anders als mit dem PKW, den ich die 860 langweiligen Kilometer über die Autobahn treibe, genieße ich dann die Landschaft und die Strecke auf kleinen, leeren Nebenstrassen. Nicht die Geschwindigkeit macht das Erlebnis, sondern der intensive Kontakt zur Natur, inklusive Fahrtwind, Sonne und natürlich auch mal Regen. Aber auch die Herausforderung, die lauernden Gefahren, wie Bitumenflecke, Rollsplitt oder unachtsame Verkehrsteilnehmer rechtzeitig zu erkennen, machen für mich den Reiz aus.
Meine Route nach Norden führt durch die Drômeberge, quert den grandiosen Vercors, folgt ein Stück lang der unbekannten Rhone, um dann in den französisch-schweizer Jura einzutauchen. Alleine das Abenteuer der Durchfahrung des in den puren Stein gehauenen, unbeleuchteten und einspurigen Tunnels an der Route des Ecouges im Vercors, oder der Naturparks ‚Hoher Jura’ sowie der Doubs sind diese Reise wert.
Während der Fahrt entlang der hier noch sehr sauberen Rhone bei Belley liegen zahlreiche Seen und Strandbäder, die zu einer Pause einladen. In einem der Seen dümpeln im Sommer – warum auch immer – geschätzt 200-300 Schwäne auf einem Haufen. Ich nenne ihn deshalb ‚Schwanensee’ und jeder, der mit mir schon dort vorbeigekommen ist, weiß von welchem See ich rede. Kommt man von Süden, liegt der See nach einer Kurve auf der rechten Seite. Noch am Seeanfang zweigt rechts eine Straße ab die eine Brücke quert. Fährt man geradeaus weiter nach Norden, ist rechts der Straße ein geschotterter Seitenstreifen, der auch als Parkplatz genutzt wird. Und da stand er: ‚Mein Freund’ der Motorradgendarm!
Er war groß und schlank, fast hager. Vermutlich hatte er die Gene von Lucky Luke. Seine dunkle Reiterhose aus Stoff, kombiniert mit hohen Reiterstiefeln verstärkte noch sein schlankes Erscheinungsbild. Ein kurzärmliges, hellblaues Diensthemd gab ihm amtliches Aussehen. Diese, bei einem Sturz nicht gerade sichere Bekleidung wies ihn als Beamten der französischen Motorradpolizei aus.
„Ein Motorradpolizist stürzt nicht!“
sagte mir vor ein paar Jahren einmal ein Motorrad-Flic, den ich am Rande eines Radrennens darauf angesprochen hatte. Na ja, dachte ich damals, wenigstens rutscht menschliche Haut auf Asphalt nicht soweit wie moderne textile Sicherheitskleidung…
Aber keine Angst, anstatt eines Motorrades parkte neben meinem ‚Lucky Luke’ ein uralter Dienst-Peugeot. Ich hatte die Vermutung, er war strafversetzt und musste deshalb die älteste französische Dienstkarre der Polizei aufbrauchen. Dreimal bin ich in zwei Jahren dort vorbei gefahren. Zweimal war er samt seinem alten Peugeot da und hat mich angehalten. Beim ersten Mal:
„Bonjour Monsieur. Votre permis et la carte grise, s’il vous plaît“ – Guten Tag, Ihre Papiere bitte.
Klar geht in Ordnung. Ich gab ihm Führerschein und Kfz-Papiere.
„Ah, vous êtes allemand?!“
sagte er und packte sofort – für Franzosen im Allgemeinen unüblich – seine Deutschkenntnisse aus. Ich wusste nicht so recht wie ich mit ihm sprechen sollte. Um nett zu sein blieb ich zunächst bei meinem ‚Ausländer-französisch’. Immerhin waren wir ja in Frankreich. Er blieb jedoch eisern bei seinem gebrochenen Deutsch! Meine Papiere interessierten ihn überhaupt nicht mehr. Stolz erklärte er mir, dass er privat, wie ich, auch eine BMW fahre, eine 1200 RT.
„Deutsche Qualität!“ fügte er hinzu und tätschelte mein Motorrad.
„Ihr Urlaub ist schon vorbei? Sicher sind Sie auf dem Rückweg nach Deutschland?“
„Nein“, sagte ich zu seiner Verblüffung. „Ich bin in auf dem Weg in den Urlaub. Den mache ich in Deutschland.“
Als ich ihm weiter erklärte, dass ich in der Nähe von Avignon lebe, aber aus Stuttgart stamme, strahlte er.
„Ich war schon in der Nähe von Stuttgart beim weltweit größten BMW-Motorradtreffen. Es war klasse und ich liebe deutsches Bier und Schwein’axe!“
Potzblitz – ich war beeindruckt. Ein Franzose der Deutschland kennt und von einer Schweinshaxe schwärmt. Allerdings musste ich ihn vorsichtig aufklären, dass das BMW-Treffen in Garmisch-Patenkirchen, also in Bayern und damit aus französischer Sicht eher Richtung München stattfand. Es interessierte ihn nicht sonderlich. Deutschland war Deutschland für ihn. Nach 20 Minuten Smalltalk bei dem er mir seine letzten Motorrad-urlaube ausführlich beschrieb, erwähnte ich, dass ich jetzt doch weiterfahren müsse. Immerhin, es wäre noch weit bis Stuttgart. Dafür hatte er Verständnis. Ungeprüft gab er mir meine Papiere zurück. Mit einem
„Bon, pas de problème – bonne route! Vielleicht sieht man sich ja mal beim BMW-Treffen“ entließ er mich.
„Ja sicher“ sagte ich, klappte das Visier runter und drehte beim Anfahren ordentlich am Quirl. Wir waren ja Glaubensbrüder.
Das Jahr darauf. Ich näherte mich dem ‚Schwanensee’ und tatsächlich waren die Viecher wieder zuhauf auf dem Wasser. Durch die Kurve hindurch, an der Kreuzung mit der Brücke vorbei und… Ja, da stand er wieder. Der Motorrad-Flic ohne Motorrad. Natürlich hielt er mich an.
„Bonjour Monsieur. Votre permis et la carte grise, s’il vous plaît“.
Beides gab ich ihm, fügte der Ordnung halber sogar die grüne Versicherungskarte hinzu.
„Ah, vous êtes allemand?!“
Hatten wir das nicht schon mal?
„Ich fahre privat auch BMW, war schon beim BMW-Treffen in Stuttgart…“
Ich lächelte und sagte
„Garmisch!“
Irritiert schaute er mich an. Flugs erklärte ich ihm, dass er mich im letzten Jahr schon einmal angehalten habe und wir über das BMW-Treffen bereits gesprochen hätten. Noch einmal gab ich mir alle Mühe und erklärte ihm den Unterschied zwischen Garmisch und Stuttgart. Er lächelte mich selig an und ich wusste, dass er es nicht verstanden hatte. Aber was sind für einen Franzosen schon ein paar hundert Kilometer Distanz, wenn sie in Deutschland liegen. Nach einem wiederum längeren Plausch – die Papiere interessierten ihn abermals nicht – verabschiedete ich mich mit einem Schmunzeln unterm Helm von meinem amtlichen ‚Lohengrin’ mit seinen Schwänen im Hinterrund.
„À bientôt – bis bald, spätestens im nächsten Jahr“.
Und für das nächste Mal nahm ich mir fest vor, ihn nach seinem Dienstmotorrad zu fragen. Schließlich stand auch bei dieser zweiten Kontrolle nur der blaue, verratzte Polizei-Peugeot am Parkplatzrand.
Im folgenden Jahr sah ich ihn nicht. Vielleicht war ja der Dienst-Peugeot kaputt. Aber im darauf folgenden Sommer! Es war brütend heiß und der Parkstreifen am ‚Schwanensee’ war leer. Ungefähr zwanzig Kilometer weiter war ein kleines schattiges Wäldchen rechts neben der Straße. 100 – 200 Meter vor mir fuhr ein PKW. Plötzlich sprang ein langer, schlanker Kerl aus dem Schatten des Wäldchens auf die Straße. Er hatte Reiterhosen, Hemd und hohe Stiefel an. Mit seiner Haltekelle winkte er den PKW vor mir auf einen dort beginnenden Waldweg. Ich war nicht gemeint und fuhr vorbei. Beim Blick in den Rückspiegel hatte ich das Gefühl, der Flic sah mir nach. Sicher sagte er sich beim Erkennen meines ‚S’ im Nummernschild:
„Ah, il est allemand – er ist Deutscher und kommt aus Stuttgart. Da war ich schon beim BMW-Treffen…“
Und noch etwas fiel mir auf. Im Schatten der Bäume stand ein nagelneuer Dienst-Peugeot. Ich schwor mir nochmals: das nächste Mal werde ich anhalten, ob er will oder nicht, und ihn endlich nach seinem Dienstmotorrad fragen.